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# 3 Ein schmaler Pfad

Ich starre bewegungslos in das Licht. Es ist warm und rötlich. Es umhüllt mich und überzieht meinen verschwitzten Körper mit einer wohligen Gänsehaut. Erst nach einer Weile kann ich meinen Blick abwenden, um meine Umgebung zu inspizieren.
Der große, runde Raum ist in mein leicht schwankendes und kugelförmiges Stimmenlicht getaucht, das über mir schwebt. Ich kann nicht alles erkennen, dafür ist die Beleuchtung zu schwach, aber ich sehe den schwarz-bläulich schimmernden, makellos glatten Boden, der meinen Füßen Wärme spendet. Außerdem ist nun die Wand hinter mir deutlich zu erkennen. Fasziniert lege ich meine Hand auf das rote, warme, pulsierende Gebilde. Wobei das Pulsieren nicht physisch spürbar, sondern nur optisch zu sehen ist. Wie Blut, das durch Venen gepumpt wird. Was ist das? Ich bin versucht zu denken, dass ich mich in einem riesigen, lebendigen Ballon befinde. Ungefähr so hatte ich mir immer das Innere eines Babybauchs vorgestellt. Nur ohne den Fußboden.
Ich stehe auf und gehe ein paar Schritte in den Raum hinein. Auf der einen Seite bin ich neugierig, mehr über diesen Ort zu erfahren. Aber auf der anderen Seite sträubt sich alles in mir dagegen, mich von meinem Stimmenlicht zu entfernen. Was, wenn es erlöschen würde? Ich will nicht zurück in diese Dunkelheit.
Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass meine Sorgen unbegründet waren. Mein Stimmenlicht ist mir auf meinen paar Schritten langsam aber sicher gefolgt und schwebt nun etwas wackelig über mir. Sehr gut, denke ich. Dann kann es ja weitergehen.
Ich bin über mich selbst verwundert. Frage mich, woher plötzlich diese Energie kommt. Dieser Tatendrang. Wann hatte sich das letzte Mal nicht alles in meinem Leben dem Wunsch zu schlafen unterordnen müssen?
Ich bewege mich auf die Mitte des großen, runden Raums zu, dicht gefolgt von meinem Stimmenlicht. Es tänzelt über mir, als würde es sich über den Spaziergang freuen. In der Mitte des Raums angekommen, muss ich feststellen, dass ich das Einzige bin, das sich in diesem Ballon befindet. Überall nur rötlich pulsierende Wände und blauschwarz schimmernder Boden. Ich spüre, wie die Panik zurückkehrt. Kein Ausweg.
Ich weiß nicht, worauf ich gehofft hatte. Vielleicht, dass ich durch eine Tür schreiten könnte, die mich aufwachen lässt. Wobei ich immer mehr aufhöre, an einen Traum zu glauben. Ich will einfach nur nach Hause. Warum gerade ich? Warum passiert mir das?
Als ich mich gerade wieder zu Boden sinken lassen will, beobachte ich etwas. Dass das rötliche Pulsieren der Wände an durch Adern und Venen fließendes Blut erinnert, ist mir ja bereits aufgefallen. Aber jetzt scheint es mir fast so, als würde dieses ‚Blut‘ zu einer zentralen Stelle gepumpt werden. Ich sehe genauer hin, verfolge die schimmernden Rinnsale. Kein Zweifel.
Schnell laufe ich auf die Stelle an der Wand zu, an der sich die Lichtflüsse zu treffen scheinen. Mein Stimmenlicht hat etwas Mühe, hinter mir herzukommen. Ich berühre den langen Streifen in der Wand, an dem das pulsierende Rot verschwindet. Er ist uneben. Wäre ich im Dunkeln mal doch länger der Wand gefolgt, dann hätte ich diese Stelle vielleicht längst gefunden…
Vorsichtig übe ich mit meinen Fingerspitzen Druck auf die Erhebung in der Wand aus. Sie versinken. Erschrocken ziehe ich meine Hand zurück. Meine Fingerkuppen sind von glitschigem Schleim umhüllt. Leicht angewidert strecke ich meine Hand erneut aus. Mit etwas mehr Druck gleitet sie diesmal komplett in die Erhebung, die sich jetzt als Öffnung herausstellt. Mir wird bei den Assoziationen, die sich mir in dieser Situation zwangsweise aufdrängen, übel.
Ich führe meine Hand weiter voran und, als ich bis zum Ellenbogen im Schlamassel stecke, fühle ich keinen Widerstand mehr. Stattdessen kühle Luft an meinem glitschigen Arm. Verflucht.
Ich ziehe meinen Arm zurück und versuche hastig den Schleim irgendwie an der Wand abzuschmieren. Brechreiz bahnt sich seinen Weg.
Das kann nicht wahr sein, denke ich. Der einzige Weg hier raus kann nicht darin bestehen, dass ich mich durch diesen Spalt schiebe wie ein Baby durch den Geburtskanal. Ich hole tief Luft. Doch, wie es aussieht, muss ich da jetzt – im wahrsten Sinne des Wortes – durch. Ohne länger zu überlegen, ziehe ich mich aus. Ich rolle meine Unterhose in mein Shirt ein und presse beides so fest ich kann gegen meinen Körper. In der Hoffnung, dass ich somit später zumindest über nicht-schleimige Klamotten verfügen würde. Dann atme ich noch einmal tief ein, kneife Augen und Mund zu und drücke mich durch den circa zwei Meter hohen Spalt in der runden, roten Wand. Auf der anderen Seite falle ich röchelnd, tropfend und würgend zu Boden. Ich spüre einen kühlen Windzug auf meiner nackten Haut. Sehen kann ich nichts, denn mich umhüllt wieder die Dunkelheit. Scheiße.
Plötzlich ein lautes Schmatzgeräusch und rötliche Beleuchtung. Mein Stimmenlicht hat sich durch den Spalt gedrängt. Offensichtlich will es bei mir bleiben. Über mir schwebend, schüttelt die Kugel sich kräftig und lässt einen Schleimregen auf mich niederprasseln.
„Spinnst du?!“, schreie ich, während ich angeekelt aufspringe. Begeistert über meinen lautstarken Gefühlsausbruch, leuchtet das Stimmenlicht noch etwas heller. Eine echte Frohnatur.
Ich richte mich auf und sehe mich um. Ich stehe nackt, vor Schleim triefend und mit einem halb durchfeuchteten Bündel Klamotten im Arm in einem schmalen, dunklen Tunnel. Seine Wände glänzen und sein Ende ist nicht in Sicht.

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