Ich bewege meine Finger. Das Kribbeln in meinen Armen ist widerlich, doch nimmt langsam ab. Statt einer Ameisenstraße strömt wieder Blut durch meine Venen. Ich konzentriere mich auf die Vorgänge innerhalb meines Körpers, da ich alles was um ich herum geschieht nicht verstehe. Ich hoffe auf einen sehr perfiden Albtraum.
Zuerst bin ich gefallen. So lange, dass ich aufgehört hatte zu schreien. Ich raste durch diese Dunkelheit, beruhigte mich und bekam sogleich erneut Panik. Würde ich aufkommen? Ich musste irgendwann aufkommen. Der Aufprall würde mich umbringen. Oder war ich bereits tot? Fühlte sich so das Sterben an? Aber die wichtigste aller Fragen: Wie sehr würde es wehtun? Ich war einiges an Schmerzen gewohnt. Konnte einiges aushalten. Aber wie schlimm würde es werden?
In dem Moment, als ich die Ungewissheit als quälender empfand, als die Aussicht auf ein schmerzhaftes und möglicherweise tödliches Ende meines Falls, kam das Ende. Ich spürte das abrupte Einsetzen von Bewegungslosigkeit und kniff die Augen zusammen. Meine Zähne knallten schmerzhaft aufeinander, mein Kiefer knackte bedrohlich und meine Lunge schien zu verkrampfen. Ich prallte auf und spürte – Nichts. Es war, als wäre ich in eine Wolke aus heißer Luft gefallen. Doch dann bemerkte ich plötzlich harten Boden unter meinen Knien und meine aufwachenden Hände ertasteten eine warme, glatte Oberfläche. Ich war auf allen Vieren und ich fiel nicht mehr. Als Erstes atmete ich aus. Dann richtete ich mich langsam auf und sah mich kniend um. Dunkelheit. Immer noch.
Ich strich mir meine fettigen Haare aus dem Gesicht und versuchte relativ verzweifelt die Ruhe zu bewahren. Wo zum Teufel war ich? Was war hier passiert? Ich musste träumen, eine andere Erklärung konnte es für das alles hier nicht geben. Auch wenn mein schmerzender Kiefer und meine kribbelnden Arme mir das Gegenteil entgegenschrien.
Ich rappelte mich vorsichtig auf und begann langsam umherzulaufen. Dafür streckte ich meine Ameisenarme aus und lief in dieser Gabelstapler-Formation in die Dunkelheit. Der Boden war eben. Geradezu unnatürlich glatt. Darüber hinaus registrierten meine nackten Fußsohlen, dass Wärme von ihm ausging. Das erklärte, warum ich, trotz meiner spärlichen Bekleidung bestehend aus Schlafshirt und Unterhose, nicht fror. Ich kämpfte mich weiter vor und stieß schlussendlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, gegen etwas Warmes und Weiches. Erschrocken zuckte ich zurück. Vorsichtig streckte ich meine rechte Hand erneut aus und berührte den Widerstand. Weich und zugleich fest. Eindeutig eine Wand. Eindeutig warm. Ich wendete mich nach links und lief mit der Hand an der Wand langstreichend weiter. Ich hoffte darauf, irgendwann auf eine Zimmerecke zu stoßen oder einen Lichtschalter zu finden. Doch schnell wurden meine Hoffnungen zerstört. Irgendetwas irritierte mich, sodass ich mich wieder der Wand zuwendete und mit beiden Händen über sie fuhr. Dann strich ich mit meinen nackten Zehen den Boden an der Wand entlang und es bestand kein Zweifel mehr: Der Raum war rund.
Zitternd wendete ich mich ab und versuchte möglichst geradlinig mit ausgestreckten Armen in die Dunkelheit zu laufen. Nach 25 Schritten wurde ich erneut von einer Wand gestoppt. Langsam sank ich zu Boden und bewege mich seither nicht mehr von dieser Stelle weg.
Ich spüre Panik in mir aufsteigen und versuche sie verzweifelt niederzudrücken. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, aber es kommt mir vor wie der längste Traum meines Lebens. „Wach auf.“, flüstere ich und beginne sanft vor und zurück zu wippen. „Wach endlich auf.“
Bin ich auf einem Trip? Wegen der Tabletten? Dehydriert? Koma? Tot?
Ich wippe schneller. Beginne mir einzelne Haare am Hinterkopf auszureißen, wie ich es häufiger tue, wenn der Druck zu stark wird. Ich möchte an meiner Nagelhaut kauen, doch kann den Drang durch das Haare herausreißen noch ich Schach halten. Ich zupfe in immer kürzeren Abständen, bewege mich schneller, kalter Schweiß rinnt meinen Rücken hinab, während mein Kopf glüht. Aufhören, denke ich. Aufhören, aufhören, aufhören. „Sofort aufhören!“, schreie ich.
Meine Stimme ist laut. Ich kann die Schallwellen sehen, wie sie sich ihren Weg durch die Dunkelheit um mich herum bahnen. Sie steigen empor und umtanzen sich gegenseitig. Formieren sich zu einem leuchtenden Ball. Meine Stimme ist Licht.
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4 Antworten auf „# 2 Der Fall“
Die Metapher mit der Stimme als Licht ist wirklich schön!
Einfach nur sehr, sehr gut, intim, intensiv und künstlerisch.
Liebe Grüße, Swen Artmann (Artsneurosia)
Ich danke dir!
Die Ungewissheit ist schlimmer als das mögliche Ende…sehr gut geschrieben!