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# 15 Erkenntnisse

Ich betrete mit einer Woge kalter Luft den Tunnel. Der Wind pfeift und kreischt, als ich die Tür mit all meiner Kraft hinter mir ins Schloss drücke.
Dann Stille.

Ich wende mich um. Links von der Tür steht – in Dunkelheit gehüllt – der Lügner.
Rechts von der Tür – so weit von ihr entfernt, dass sie gerade noch so in rötliches Licht getaucht wird – schwebt mein Stimmenlicht.
Ich breche die Stille, indem ich heftig mit den Füßen aufstampfe, damit sich der Sand von ihnen löst. Mein Stimmenlicht flackert leicht, als würde es sich über meine Rückkehr freuen. Den Blick des Lügners spüre ich auch auf mich gerichtet, obwohl ich sein Gesicht nicht erkennen kann.

„Ich bin zurück.“ – Keine Antwort.
Ich streife den Mantel ab und hänge ihn mir über den Arm. Er strahlt noch die strenge Kälte des Strandes aus.
„Mit wem warst du zusammen?“, erklingt die Stimme des Lügners nach einer gefühlten Ewigkeit.
„Wie kommst du darauf, dass ich mit jemandem zusammen war?“, frage ich.
„Das sehe ich. Dein Blick hat sich verändert.“ Er tritt aus der Dunkelheit und kommt auf mich zu.
„Verändert? Inwiefern?“ Ich sehe in sein Gesicht, dessen Mimik ich nicht deuten kann.
„Keine Ahnung.“, sagt er.
Lügner.
„Vielleicht sehe ich glücklich aus. Das dürfte dir unbekannt sein.“
Auch das ist eine Lüge. Allerdings von mir. Natürlich bin ich in seiner Gegenwart mal glücklich gewesen. Sogar sehr. Aber ich will ihn verletzen.
Warum eigentlich?

Meine Äußerung gräbt eine Zornesfalte in seine Stirn.
„Mit wem warst du zusammen?!“ Die Wut in seiner Stimme erschreckt mich.
„Was soll das? Meinst du, du hättest Besitzansprüche auf mich?“
Seine Arme schnellen in die Luft und deuten auf den Tunnel, der uns umschließt.
„Na, immerhin bin ich doch hier?!“ Seine Stimme bricht sich an den Steinen.
Ich starre ihn an. Seine Wut ist mir nicht fremd. Sie ist eine Naturgewalt, wenn er nicht bekommt, was er verlangt. Deswegen habe ich sie so spät entdeckt. Ich war sein Verlangen und bin diesem mit Freude nachgekommen. Also blieb das stille Wasser still. Als ich allerdings die Wahrheit erfuhr, verabschiedete ich mich aus meiner Rolle in seinem Leben.
Er reagierte allerdings nicht mit Wut, sondern mit Selbstmitleid. Er krepierte fast an seinem schlechten Gewissen und schob mich von sich fort, um es verdrängen zu können. Wütend wurde er, wenn unsere Vergangenheit drohte, seine Hauptbeziehung zu gefährden.
Und wie sehr hatte ich mir gewünscht, dass ich sein Gemüt hochkochen lassen würde? Wie oft hatte ich davon geträumt, dass er wegen mir tobe? Dass meine Verabredungen ihn zur Weißglut treiben würden? Dass er nachts vor meiner Tür stände und mich anschreie, was mir einfallen würde? Dass ich zu ihm gehöre. Nur um zu wissen, dass ich es war, die er wollte.
Wie armselig ich gewesen bin.

„Wie meinst du das? Wieso bist du hier?“, frage ich.
„Weil du es so willst!“, blafft er zurück.
„Tu es für dich.“, sagt Max in meinem Kopf.
Hier geht es um mich, realisiere ich.
Ich sehe dem Lügner in sein vor Zorn gerötetes Gesicht.
„Heißt das, du verschwindest, wenn ich es will?“

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