Der rote Feuerball der untergehenden Sonne sinkt immer tiefer ins Meer, während wir noch immer still nebeneinander sitzen. Als Max zum Sprechen ansetzt, klingt seine Stimme vom langen Schweigen und der Kälte knarzig.
„Wir haben nicht mehr viel Zeit.“
Ich nicke. „Ja, es wird dunkel. Wir sollten aufbrechen.“
Max wendet den Kopf zu mir und sieht mich amüsiert an. „Und wohin aufbrechen?“
Ich stutze. „Keine Ahnung, ich dachte…Nach Hause?
Max lächelt. „Du bist nicht in der echten Welt, falls du das denkst. Und wenn, dann weißt du, dass ich nicht mitkommen würde.“
Ich schlucke und weiß nicht, welcher der beiden Sätze mich mehr getroffen hat. Trotzig lasse ich seine Hand los. „Doch, du würdest mitkommen.“
Max schweigt. Dann sagt er leise: „Stimmt vielleicht, aber wir wissen beide, dass ich nicht mitkommen sollte.“
Mir reicht es. Ich springe von dem Stein auf, der uns so lange eine Sitzgelegenheit geboten hatte, und merke erst jetzt, wie kalt meine Beine geworden sind.
„Max, was soll das? Warum bin ich überhaupt hier?“
Max zuckt mit den Schultern. „Du liebst das Meer.“
Er macht mich rasend. Wie so oft.
„Max verdammt, jetzt sag‘ doch einfach einmal, was Sache ist!“
Auch Max erhebt sich und beginnt, die rote Decke zusammenzufalten.
„Ich weiß nicht, warum du hier bist.“
Es verletzt mich. Es verletzt mich, dass er uns die Decke nimmt.
„Ach, aber du wirst ja wohl wissen, warum DU hier bist?!“
Meine Stimme ist so laut, dass einige Möwen kreischend von nahegelegenen Felsen aufsteigen. Auf Max‘ Stirn vertieft sich die Zornesfalte zwischen seinen Augenbrauen.
„Schrei mich nicht an.“
„Ich schreie nicht.“
Stille.
Er faltet die Decke fertig zusammen und legt sie fein säuberlich über seinen Arm. „Ich weiß, dass ich dir die Lampe für deinen Rückweg geben werde. Das ist alles.“
„Und was ist mit dir? Brauchst du sie nicht?“
Max zuckt mit den Schultern.
Meine Stimme ist nun so leise, dass er sich anstrengen muss, um mich über die Brandung hinweg zu verstehen.
„Warum kommst du nicht mit?“
Max sieht auf das Meer hinaus, während die Dunkelheit uns mehr und mehr einhüllt.
„Lass‘ mich dir eine Frage stellen.“
Ich nicke. „Natürlich, jede.“
Sein Blick löst sich von den Wellen und fällt nun direkt auf mich.
„Ist er auch da?“
Ich verliere den Boden unter den Füßen.
„Ja. Aber nicht weil ich es wollte! Max…“
Seine Kiefermuskulatur tritt deutlich hervor, so fest beißt er die Zähne aufeinander.
„Ich bin es so leid, immer der Mann danach zu sein.“
Ich gehe einen Schritt auf ihn zu.
„Das bist du nicht.“
Er weicht zurück.
„Doch, und das weißt du. Du bist nicht durch damit.“
„Das stimmt nicht! Und das ist nicht fair von dir! Du hast doch ein genauso dickes Päckchen mit in die Beziehung gebracht!“
Max nickt.
„Ja, und genau deswegen hast DU dich von MIR getrennt. Weil WIR nicht zusammen funktionieren. Zwei kaputte Dinge ergeben zusammen kein ganzes. Das hast DU gesagt. Und dann nimmst du doch wieder meine Hand. Warum tust du mir das an?!“
Sein Gesicht ist vor Zorn gerötet.
Ich strecke die Hand nach ihm aus, aber dort ist eine unüberwindbare Barriere im Leerraum zwischen uns.
„Weil ich dich einfach nicht loslassen kann. Ich bin ein Miststück. Es tut mir leid.“
Die Wellen brechen mehrfach am Ufer. Gleichzeitig versinkt die Sonne immer tiefer im Meer. Der kalte Wind auf unserer Haut fühlt sich an wie Messerklingen.
„Du bist kein Miststück.“, sagt Max. „Aber du musst endlich aufhören, mich zu benutzen. Ich wollte benutzt werden, das weiß ich. Und ich weiß auch, dass ich dich genauso benutzt habe. Wir haben beide eine Lücke gefüllt, die jemand bei uns hinterlassen hat. Aber die Sache ist die: Du musst dieses Loch mit dir selbst füllen. Du musst ein Ganzes sein – wie du damals gesagt hast.“
Ich sehe Max lange an. Und ich weiß, dass er Recht hat. Aber als ich ihn so ansehe, weiß ich auch etwas anderes. Etwas, worüber es viel leichter ist, zu sprechen. Etwas, was von mir ablenkt.
„Du hast wieder jemanden, oder?“, frage ich nicht ohne Provokation in der Stimme.
Max seufzt. „Darum geht es hier doch überhaupt nicht.“
„Doch!“, patze ich zurück. „Du erzählst hier einen von Selbstfindung, aber eigentlich hast du mich auch einfach nur ersetzt.“
Wie ein bockiges Kind stehe ich da und funkel ihn an.
Max kommt auf mich zu und drückt mir seine Lampe in die Hand. So leise, dass ich ihn kaum verstehe, flüstert er: „Nimm‘ das Licht, geh‘ zurück in den Tunnel und setz‘ dich endlich mit dir selbst auseinander. Es geht hier nicht um mich. Und es geht hier nicht um ihn.“
Sein Gesicht kommt meinem ganz nah, als er weiterspricht. „Hier geht es nur um dich. Das ist vielleicht deine letzte Chance. Nutze sie. Tu‘ es für dich.“
Ich sehe ihm in die Augen, spüre die schwere Lampe in meiner Hand und die Wärme, die von seinem Gesicht ausgeht. Mein Kopf bewegt sich nach vorne, meine Lippen auf die seinen zu.
Er hält mich an den Schultern zurück.
Lächelt.
Flüstert: „Nein, dafür liebe ich mich zu sehr.“ Und verschwindet in der Dunkelheit.
2 Antworten auf „# 13 Loslassen“
Jetzt verstehe ich einiges besser.
Danke für Part 13. Jetzt bin ich gespannt, ob sie aus seinen Worten etwas mitnimmt und das richtige tut.
Du hast wieder sehr gut, verständlich und auch schön bildhaft geschrieben. Die ganze Stimmung auf dem Felsen am Meer passte so gut dazu.
Freue mich auf die Fortsetzung.
Liebe Grüße und einen schönen Nikolausabend!
Carolin
Ich sag nur „WOW“, bin genauso gespannt wie es weitergeht.