In diesem Moment verstehe ich den Unterschied zwischen Einsamkeit und Verlassensein. Die Schwere Laterne in der Hand, den gefrorenen Sand unter mir nur für einen kleinen Umkreis beleuchtet, den unerbittlichen, kalten Wind an meinen Klamotten zerrend und im Ohr das Tosen des in Schwärze getränkten Meeres.
Verlassen.
„Max?!“, rufe ich in die Dunkelheit hinaus.
Die Finsternis schweigt.
Meine Hand umklammert die Lampe fester. Ohne sie bin ich verloren.
„Nimm‘ das Licht, geh‘ zurück in den Tunnel…“
Max‘ Stimme in meinem Kopf setzt sich gegen die Brandungsgeräusche durch.
„Dafür liebe ich mich zu sehr.“
Dieser Satz hallt in allen Winkeln meines Bewusstseins wider.
Ich habe dich auch geliebt, werfen meine Gedanken als Antwort zurück. Wohl wissend, dass er das weiß.
Liebe ich mich?
Nein.
Ich weiß, dass ich hier sterben könnte. Die Gewissheit, dass es hier – anders als im Tunnel – möglich ist, liegt wie ein Stein in meinem Magen. Ich weiß nicht, ob es sich gut oder schlecht anfühlt.
In meiner Vorstellung gebe ich mich sanft dem Schlaf und der Kälte hin. Der Lügner beobachtet im Tunnel, wie mein Stimmenlicht verblasst. Ich kann sein Gesicht nicht erkennen.
Ist er traurig? Erschüttert? Verzweifelt? Oder erleichtert?
„Es geht hier nicht um ihn.“
Das ist wieder Max‘ Stimme in meinem Ohr.
„Tu‘ es für dich.“
Ich laufe los. Mein Körper stemmt sich gegen den Wind und Max‘ Licht weist mir den Weg.
Ich weiß, zuerst muss ich laufen, bis die Felsen zu meiner – jetzt rechten – Seite aufhören. Dann über die Düne. Und dann müsste ich die Tür sehen können.
Aber wie sah sie aus? Ich war so fasziniert und eingenommen vom Meer gewesen, dass ich nicht ein einziges Mal zurückgesehen hatte.
War dieser Teil der Welt von einer Wand umrahmt, die man nicht verfehlen konnte? Oder schwebte die Tür irgendwo in der Luft und ich würde sie vielleicht nicht finden?
Ich treibe meine Füße schneller vorwärts. Da ist die Düne, da muss ich zuerst rüber. Ich rutsche mehrmals weg und falle der Länge nach hin, da ich den Arm mit der Lampe verzweifelt in die Luft recke.
Sie darf nicht erlöschen.
Dann stehe ich auf der Düne. Wohin?
Ziellos drehe ich mich im Kreis. Schaue auf die Lampe. Wenn ich mich in eine Richtung ausrichte, leuchtet sie rötlich. Wie mein Stimmenlicht.
„Oh Max.“, flüstere ich und alles in mir wünscht sich, dass er wirklich jemanden gefunden hat. Ein Ganzes, das ihn von ganzem Herzen liebt.
Du hast es verdient.
Ich stolpere die Düne hinunter. Vor mir baut sich nach kurzer Zeit eine dunkle Tür im Schein meiner Lampe auf. Sie schwebt einfach so in der Luft.
Ich sehe noch einmal zurück in die Dunkelheit. Höre das Meer.
„Danke. Für alles.“
Dann drücke ich die Klinke hinunter.
Eine Antwort auf „# 14 Türöffner“
Wieder sehr ausdrucksstark, intensiv und bildhaft geschrieben. Man kann förmlich die Emotionen spüren die Max’s Worte bei ihr ausgelöst haben. Dazu dieses Szenario am Strand. Ich bin gespannt, was sie nun hinter der Tür erwartet 😊